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Ich liebe Glas. Es ist für mich der sinnlichste und verführerischste Werkstoff, den ich mir vorstellen kann. Glas ist gefährlich. Nicht, weil man sich daran verletzen kann, sondern weil es fast immer schön ist. Waren es kleine Schmuckstücke bei den Ägyptern oder später auch schöne Trinkgefäße, wurde das Glas durch die Herstellung kleiner Flächen schnell auch für die Architektur interessant. Die Farben leuchten, jeder Inhalt wird verzaubert, es zieht den Betrachter in seinen Bann.

Das wussten schon die Kirchenväter des Mittelalters, als sie begannen, ihre Botschaften in Bleiverglasungen übertragen zu lassen. Noch heute verbindet man Glas mit sakralen Bauten. Tatsächlich lassen wir uns gern durch farbiges Glas in wundersame Lichtwelten entführen. Längst ist farbiges Glas auch mit Profanbauten, Gartenkunst, Skulpturen und Objekten in Verbindung zu bringen. 

Ich lege mich nicht gern fest. Ich will mich nicht entscheiden zwischen Flachglas und Skulptur, zwischen Grafik und Installation. Das macht es mir mitunter recht schwer, denn meine in den letzten 40 Jahren entstandenen Arbeiten lassen sich nicht in die Schubkästen der Kunstwissenschaft einordnen.

Als ich 12 Jahre alt war, begann ich kleine Gläser zu sammeln. Mit 14 beschloss ich, an der „Burg“ in Halle, meiner Heimatstadt zu studieren. Nachdem ich während der Schulzeit die Abendschule an der heutigen „Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein“ besucht hatte, war es vor allem die Bildhauerei, die mich interessierte. 

Bei der Eignungsprüfung wurde der neue Fachbereich „Freie künstlerische Glasgestaltung“, eine Spezialklasse der Malerei, vorgestellt. Damit war mein Berufsziel klar: ich werde Glaskünstlerin. 

Obwohl im Mangelsystem der DDR aufgewachsen, ahnte ich nicht, wie schwierig es Anfang der 1980er Jahre werden würde nach dem Diplom eine Wohnung, ein Atelier und Arbeitsmaterial oder gar einen Brennofen zu bekommen. Aber Mangel macht erfinderisch. Resteverarbeitung, Bearbeitungstechniken wie das Sandstrahlen und ungeheure Hartnäckigkeit bei der Materialbeschaffung ließen schon damals meine ersten freien Arbeiten entstehen.

Mit meinem Mann, dem Metallbildhauer Uwe Hempel, begann ich eine ruinöse Schule am Stadtrand von Dresden auszubauen. In der „Alten Wachwitzer Schule“ ist noch heute unser Lebensmittelpunkt, hier wuchs unser Sohn auf, hier sind noch heute unsere Ateliers und unsere Wohnung.

Mich hat das Glas verführt. Ich konnte mich in den 40 Jahren meiner freiberuflichen Tätigkeit als Künstlerin nicht auf ein Sujet festlegen. Neben der Kunst in der Architektur, die auch sakrale Räume einschließt, hat mich immer wieder die kleine und große Skulptur gereizt. Die vielfältigen Möglichkeiten des Materials, die Lichtbrechung, das matte, das klare, das farbige Glas, bieten geradezu unbegrenzte Möglichkeiten. 

Viele handwerkliche Techniken habe ich mir im Laufe der Jahre erarbeitet, denn ein Jahr Praktikum hat natürlich nicht ausgereicht, um die Vielfalt der Glasbearbeitungsmöglichkeiten auch nur zu streifen.

Meine Arbeit basiert vorrangig auf der Auseinandersetzung mit der Natur. Ich glaube, dass in der Natur bereits alles vorhanden ist und es dem Künstler lediglich obliegt, auf diese Genialität aufmerksam zu machen. Oft setze ich in meinen Arbeiten Erinnerungen, literarische Texte oder Träume um. Die zunehmende Zerstörung unserer Umwelt beschäftigt mich dabei sehr stark, aber ich versuche in meinen Arbeiten nicht sie abzubilden, sondern möchte Augenblicke besonderer Schönheit und Intensität festhalten. Ich möchte die Menschen für diese Schönheit sensibilisieren, um den bewussten Umgang mit der Natur anzuregen. 

Dabei kann ich inhaltlich gerade in der Wiedergabe natürlicher, z.T. abstrahierter Prozesse viele Synonyme finden. Das spiegelt sich auch in meinen sakralen Arbeiten wieder. Bäume, gespiegelt, gedreht, verfremdet, Spiegel, Labyrinthe, Boote – immer finde ich Symbole, um den Bibeltexten in meiner eigenen Bildsprache zu entsprechen. Ich bemühe mich Klischees zu vermeiden, neue Bilder aus den Texten zu entwickeln. Nicht immer findet diese abstrahierte Umsetzung bei den Traditionalisten Zustimmung. 

Ein Beispiel ist die Umsetzung des Bildes vom „Guten Hirten“. Mir widerstrebt es, Jesus mit dem Lamm auf dem Arm darzustellen, denn es geht nicht einfach um einen Hirten, sondern den „GUTEN“, der den „richtigen“ Weg und das „richtige“ Tor zeigt. Deshalb verstehe ich „TOR“ und “WEG“ als Symbole des „GUTEN HIRTEN“. Viele meiner sakralen Arbeiten wecken trotzdem gerade durch diese besonderen Interpretationen das Interesse der Betrachter. Besonders gläubige Menschen, regt es dazu an, den Originaltext neu zu lesen, mit neuen Augen zu sehen. Aber auch Laien finden durch meine Fenster Zugang zu biblischen Themen.

Ich bedaure es sehr, dass die neuen Wettbewerbsbedingungen es kaum noch möglich machen, in meinem Hauptgebiet, dem Kirchenfenster, tätig zu sein, da die Mitgliedschaft in einer Kirche meist Bedingung ist. Meine Sozialisierung im DDR-Regime, meine Ablehnung gegen Parteien und Institutionen, macht es mir unmöglich, einer Kirche aus Kalkül beizutreten. Trotzdem sehe ich mich als gläubigen Menschen.

Meine Fensterbilder knüpfen an die Tradition der „Kabinettscheiben“an. Es sind kleinformatige Arbeiten, „Glasgemälde“ die statt an die Wand in Fenster gehangen werden und durch Lichteinfall und Hintergrund eine besondere Ästhetik entwickeln.

Hier liebe ich auch das technische Experiment. Ich verschmelze Gläser zu vielschichtigen Fusingarbeiten, drucke im Siebdruck Glas auf Glas und verschmelze es, veredle in traditionellen Techniken. Ob Diamantschliff, Sandstrahlen, Vergolden, jede Technik ist mir recht, um mein inneres Bild in Glas umzusetzen. Manch kleines geschmolzenes Teil wird in Tiffanytechnik oder Bleiverglasung mit anderen Teilen zu einer großen Arbeit gefasst.

Meine „Triffles“ sind tatsächlich auch immer kleine Studien zu größeren Arbeiten.

Sie sind die berühmten Kleinigkeiten, die es mir ermöglichen, durch ihren Verkauf größere Arbeiten im Eigenauftrag zu realisieren. 

Glas mag nicht kostbar erscheinen, aber billig ist es nicht. Oft wird geglaubt, man kann Glas „wild“ miteinander verschmelzen. Das ist aber eher die Ausnahme. Die unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten bringen zu viel Spannung in die Verschmelzungen, die sich dadurch wiederum in Staub verwandeln können. In einer kleinen Explosion können falsch verschmolzene oder schlecht gekühlte Gläser noch nach Jahren zerfallen. Deshalb arbeite ich mit auf ihre Kompatibilität getesteten Gläsern, die vorrangig in den USA hergestellt werden. Weil diese Gläser kilometerweit über das Meer geschippert werden, sind sie teuer und auch das kleinste Stückchen wird von mir verarbeitet.

Entwürfe mache ich tatsächlich noch auf Papier, arbeite mit Farbkasten und Buntstift. Aber ich wünsche mir auch immer etwas Vertrauen von meinen Kunden, denn wozu sollte ich etwas aus Glas machen, wenn ich es auf Papier darstellen kann? Ich denke in Glas.

Während ich mich früher vorrangig mit flächigen Gestaltungen beschäftigt habe, arbeite ich heute auch an räumlichen Objekten, um meine Ideen zu verwirklichen. Dabei spielt wiederum die Natur eine große Rolle, denn meine Gartenskulpturen sind einerseits von ihr inspiriert und andererseits sollen sie sich in einen Dialog mit ihrer Umgebung begeben.

Meine Beschäftigung mit Ikebana hat auch ein eigenes Harmoniegefühl in mir entwickelt, das ich auf meine Arbeiten übertrage. Bei meinen Gartenplastiken arbeite ich oft mit additiven Elementen, mache große Objekte aus vielen kleinen Teilen. Das hat auch praktische Gründe, denn Glas ist schwer und empfindlich, und große Objekte sind kaum zu transportieren.

Gestaltetes Glas in der Architektur ist inzwischen ein heikles Thema. Wer gern alte amerikanische Filme schaut, begegnet dem farbigen Glas ständig. Gehörte es früher fast selbstverständlich in ein Gebäude, fürchten sich heute die Architekten vor der Präsenz einer gestalteten Fläche. Tatsächlich verlangt das Material sehr viel. Es will Licht, nimmt teilweise die Durchsicht und ist extrem vereinnahmend. Die Wertigkeit des Materials fordert gerade in Zeiten der Energieknappheit auch Dauerhaftigkeit. Dies wiederum setzt eine Entscheidungssicherheit des Auftraggebers voraus. Ich selbst habe schon Aufträge abgelehnt, wenn ich die Durchsicht zu schön fand. 

Trotzdem gäbe es zahlreiche Anwendungsgebiete in der Architektur, denn gestaltetes Glas kann Räume intim, sichtgeschützt und kostbar machen. Der heute propagierte Minimalismus, ein Ergebnis eines falsch verstandenen Bauhausbegriffes, muss ein so tolles Medium nicht von vornherein ausschließen, wenn sich der Architekt mit der Materie beschäftigt. 

Ich arbeite in der Architektur gern mit beweglichen Elementen, die in ihren Überschneidungen eine besondere Ästhetik entwickeln. Außerdem kann man sie, man möge mir verzeihen, etwas aus dem Vordergrund schieben, wenn es der Anlass verlangt.

Ich denke, wer für die Architektur arbeitet, muss in der Lage sein, sich auf den Raum einzulassen, seiner Funktion Rechnung tragen und sein künstlerisches Credo etwas unterordnen. Kunst in der Architektur, insbesondere eingebautes Glas, sollte nicht von vornherein ausgeschlossen, aber mit großer Sensibilität behandelt werden.

Auch wenn ich mich wiederhole…ich liebe Glas.

Marion Hempel